Eine Freiwillige erzählt von ihren
Erfahrungen in einer indischen Grundschule
In Deutschlands Schulen wird darüber
diskutiert, ob elektrische Tafeln sinnvoll sind oder nicht. In Indien
hat man andere Sorgen. Daniela Bröker (27) macht einen elfmonatigen
Freiwilligendienst in Indien und arbeitet als Lehrerin in einer
Grundschule. Sie erzählt von Parallelen und vor allem von
Unterschieden zwischen dem deutschen und dem indischen Schulsystem.
typische staatliche indische Grundschule |
In Indien beginnt die Grundschule um
9.30 Uhr und endet um 16.30 Uhr, zwischendurch gibt es Essen.
Unterrichtet wird in den Fächern Mathe, Hindi, Kannada, Englisch,
Sport und „soziale Wissenschaft“, was so etwas wie Geschichte,
Werte und Normen und Erkunde in einem ist. Jedes Fach, jeden Tag. In
Danielas Schule gibt es 250 Schüler, sechs festangestellte Lehrer,
zwei Teilzeitangestellte und ein bis zwei internationale Freiwillige
jedes Jahr. Die Grundschule geht von der ersten bis zur siebten
Klasse. Schuluniformen sind Pflicht. Danielas Geschwister gehen auf
eine Privatschule (vierte und fünfte Klasse). Sie haben je drei
Stück: eine Wochentagsuniform, eine Samstagsuniform und eine Uniform
für die schulinterne Pfadfindergruppe.
Dazu gibt es jeden Tag das fünfzehn
minütige „Assembly“, eine Art Schulversammlung: Alle Schüler
stellen sich in Reihe und Glied, geordnet nach Klasse auf. Der
Klassensprecher steht vorne. Der Schulsprecher salutiert dem
Schulleiter und den Lehrer. Das Programm besteht aus vorgelesenen
Nachrichten, dem Singen der Karnataka- und der indischen
Nationalhymne und einer Art Morgensport mit Dehnübungen und
Hampelmann.
Der Unterschied, der am deutlichsten
ist, besteht darin, dass es in Indien stark in Privatschulen und in
staatliche Schulen unterteilt ist. Und die Unterschiede zwischen
Privatschule und staatlicher Schule sind gravierend. Die staatlichen
Schulen sind kostenfrei; die Privatschulen verlangen
Mitgliedsbeiträge. Daniela ist in einer Kannada-sprachigen
staatlichen Schule. „Die staatlichen Schulen sind krass
unterfinanziert. Das merkt man an allen Ecken: Die Tafeln auf denen
wir schreiben sind alt und zerkratzt, die Englischbücher sind
fehlerhaft und sogar das Essen ist unterste Klasse,“ sagt sie: „Die
Lehrer bringen sich immer ihre eigene Soße zum Reis mit und der
Schulleiter isst lieber woanders.“ Die Familien, die das Geld
haben, schicken ihre Kinder auf Privatschulen. In Danielas Schule
sind die Familien nicht so reich. Sie können sich noch nicht mal die
Schuluniform leisten, deshalb kommen die Kinder ohne in die Schule.
In Danielas Schule gibt es auch keine Pfadfindergruppe. Den Sing- und
Tanzunterricht können nur die Schüler besuchen, dessen Eltern den
Lehrer bezahlen können. Auch der Schulausflug jedes zweite Jahr ist
nur für die Schüler, dessen Eltern das Geld dafür über haben. In
der ersten, zweiten und dritten Klasse gibt es noch keine Tische; die
Schüler sitzen auf Bänken oder auf dem Boden. Es wird noch auf
Schiefertäfelchen geschrieben, außer in den Prüfungen. Da wird das
Papier von der Schule gegeben. Ab der vierten Klasse wird in Heften
geschrieben, die werden auch von der Schule gegeben. Die Stifte
müssen die Kinder allerdings selbst mitbringen. „Deshalb kommt es
auch oft vor, dass die Hälfte der Schüler keine Stifte haben“,
sagt Daniela.
Die Klassen sind zwischen 35-47
Schülern groß. Manchmal muss Daniela auch die erste, zweite und
dritte Klasse zusammen unterrichten. Um Anreize zu setzen schreibt
die Schule auf jedes Zeugnis, welchen Platz man in der
Klassenrangliste hat, zum Beispiel sechs von 43, das heißt man wäre
sechstbester. „Bei den guten Schülern klappt das wunderbar, die
sind richtig heiß darauf, sich zu verbessern. Bei den hinteren wirkt
das demotivierend und ist wie ein Schlag ins Gesicht,“ sagt
Daniela.
Der Unterricht ist komplett anders als
in Deutschland. Es gibt keine mündliche Note, es zählen nur die
schriftlichen Ergebnisse. Hausaufgaben gibt es nicht, bis auf das
Gelernte im Gedächtnis zu behalten. „Die Schüler lernen alles nur
auswendig, ohne zu denken und ohne zu verstehen“, meint Daniela:
„Die kennen zwar alle das Alphabet auswendig, aber wenn sie dann
ein G anschreiben sollen, können sie das nicht“. Der Unterricht
ist purer Frontalunterricht: Der Lehrer schreibt an die Tafel und die
Schüler schreiben ab oder der Lehrer erzählt etwas und die Schüler
schreiben auf. Stellt der Lehrer mal Fragen, sind das Wissensfragen,
die überprüfen, ob die Schüler das Gelernte auch behalten haben
„Es gibt keine offenen Fragen wie 'was meinst du?'. Es werden immer
nur Fakten abgefragt. Fragen, wo die Kinder selbst denken müssen
gibt es nicht, da könnten die Kinder auch gar nichts mit anfangen“,
sagt Daniela. Selbstständig zu lernen, wird den Kindern nicht
beigebracht. „Teilweise werden die Matheaufgaben mit Lösung
angeschrieben. Das wird dann abgeschrieben und auswendig gelernt. Die
Schüler wissen dann, dass zwei plus zwei gleich vier ist, aber
können trotzdem nicht richtig rechnen“, erzählt Daniela.
„Manche Schüler können das dann,
die anderen werden mitgeschleift oder schreiben ab. Es sitzt aber
auch keiner da, der murrt, dass man gefälligst nicht abschreiben
solle“, meint Daniela: „Ich habe das Gefühl, dass die in der
ersten und zweiten Klasse merken, wer was drauf hat und wer nicht,
dass die da bestimmen wer gut ist und wer schlecht ist.“ Auf die
schlechteren wird keine Rücksicht genommen. Es gibt keine
Extraeinheiten oder Extraförderungen. Daniela drückt es so aus:
„Einmal 43. von 43 – immer 43. Rücksichtnahme bei der
Klassengröße ist aber auch nur schwer möglich“.
Sitzenbleiben in der Grundschule ist
trotzdem unmöglich. „Alle sollen die Grundschule schaffen. Falls
jemand durch die Prüfungen fällt, kriegt er die Lösungen
vorgegeben, muss sie abschreiben und hat somit bestanden,“ erzählt
Daniela. Warum das so ist weiß sie auch nicht: „Mein Schulleiter
hat mir gesagt, dass das vor fünf bis acht Jahren noch anders
gewesen wäre, damals war der Druck auf die Schüler wohl auch noch
ein bisschen größer und es sei besser gelaufen.“ So kann man
natürlich auch Statistiken verfälschen. „Unter meinen Schülern
sind ungefähr zwei Prozent der Schüler Legastheniker und
Analphabeten. Rein theoretisch würden sie die Schule nicht schaffen,
aber so fallen sie aus diesen Statistiken raus,“ sagt Daniela: „Die
schlechten Kinder werden mitgeschleift und sitzen die Zeit ab.“ Auf
der anschließenden High School ist es möglich sitzen zu bleiben.
Das heißt, es wird dann erheblich schwerer für diejenigen, die
vorher schon nichts verstanden haben.
Die Kinder werden in einem Gebäude
unterrichtet, dass eigentlich nur eine große Halle ist. Die
einzelnen Klassenräume werden durch Stellwände getrennt. Wenn dort
sieben Klassen gleichzeitig Unterricht haben kann es ganz schön laut
werden. „Man hört die anderen Klassen immer. Manchmal Unterrichte
ich die Größeren und nebenan singen 60 Kinder lauthals oder rattern
das Alphabet runter. Ist es um einen herum laut, wird auch die eigene
Klasse laut, also muss ich auch umso lauter werden, damit ich noch
gehört werde. Ich muss ständig gegen die Geräuschkulisse an
brüllen!“ erzählt Daniela: „Bis dann irgendwann der
Nachbarlehrer kommt und mit dem Stock auf den Tisch haut. Dann ist
für zwei Minuten Ruhe, bevor es vorne losgeht“. Oft kämen sich
die Schüler aus den verschiedenen Klassen auch gegenseitig besuchen
und machen Unfug miteinander. Daniela meint: „Das ist ein
schwieriges Umfeld zum Lernen!“
Disziplin ist allgemein ein Problem.
„Die Kinder sind nicht bösartig. Die sind ja auch nett und grüßen
einen, aber die haben einfach viel Energie. Die sind den ganzen Tag
wie Flummis in Bewegung und gehen sprichwörtlich über Tische und
Bänke“, meint Daniela. Die Antwort der Lehrer darauf ist
Disziplinierung durch Schläge. Die Lehrer in Danielas Schule kommen
alle mit Rohrstock oder Holzlineal in die Schule. Die Kinder werden
nicht verprügelt, aber kriegen mal leicht einen auf den Oberschenkel
oder werden an den Ohren gezogen. Falls sie härter bestraft werden,
gibt es Schläge auf die Handflächen oder Fußflächen. Meistens
werden die Jungs gehauen, die Mädchen seien vergleichsweise brav.
Daniela denkt, das liege aber auch daran, dass die Jungs meistens
rumrennen, kämpfen und sich wie Rabauken benehmen würden. Die
Mädchen seien ruhiger und würden nur reden oder malen. „Da sie
ruhig sind und weniger stören, werden sie auch nicht gehauen“,
sagt Daniela: „Und den Lehrern geht es in erster Linie darum die
Schüler ruhig zu halten. Das hat mir mein Schuldirektor auch am
ersten Tag so gesagt.“
Daniela kann sich an ein härteres
Beispiel erinnern: „Einmal hat ein Schüler einer Lehrerin Geld aus
der Tasche gestohlen. Der wurde dann richtig verprügelt und hat
danach auch geheult.“ Ansonsten heulen die Kinder nicht, würden
zwar kurz zucken aber machen zehn Minuten später wieder den gleichen
Blödsinn. Prügeln schaffe nur kurzfristig Disziplin. „Wenn die
Kinder nicht gehorchen kriegen sie einen Schlag ab. Die kriegen aber
schon seit dem Kindergarten Schläge ab und machen in der siebten
Klasse immer noch Unfug,“ sagt Daniela: „Die machen das ja auch
nicht aus Bosheit, sondern aus Unbedarftheit und Spieltrieb. Für die
ist Schule gleich Spielzeit und Rumtob-Zeit. Die freuen sich auch
nicht auf die Ferien, weil zuhause krasse Aufgaben auf die warten:
Wasser holen, auf dem Feld oder auf der Arbeit mit anpacken und so
weiter.“
Daniela kann die Lehrer aber auch
verstehen: „ Die Lehrer wissen nicht, wie es anders geht und sind
ganz einfach mit der Situation überfordert. Bei den Klassengrößen!“
Für Daniela sei es noch schwieriger, da sie erstens kein Kannada
spricht, zweitens nicht schlägt und drittens ein Mädchen ist,
weshalb sie von manchen älteren Jungs nicht richtig akzeptiert wird.
Die Schule hat das Recht die Kinder zu
disziplinieren und viele Eltern geben die Kinder zur Beschäftigung
zur Schule. Oft müssen selbst beide Elternteile arbeiten und könnten
sich gar nicht um die Kinder kümmern. Vielen scheint es egal zu
sein, wie die Kinder in der Schule abschneiden. Nur manche
Elternteile kommen manchmal in die Schule und beschweren sich, bei
den Lehrern. Viel Unterstützung von zuhause bekommen sie also nicht.
Wie auch, wenn die Eltern teilweise selbst noch nicht mal richtig
lesen und schreiben können.
„Es ist aber auch erschreckend wie
schlecht die Englischlehrer Englisch können“, meint Daniela: „Die
machen immer nur das Gleiche, machen nur das, was im Buch steht und
bereiten keinen Unterricht vor. Die sitzen da und gucken den Schülern
beim Abschreiben zu. Pädagogisch gesehen ist das nach unseren
Maßstäben total schlecht! Die sind mehr Aufpasser oder Betreuer,
als Lehrer.“
Daniela macht ihren Unterricht trotzdem
so, wie sie es aus Deutschland kennt. „Mein Schulleiter hat mir und
meiner Freiwilligenkollegin erlaubt, die Schüler in Kleingruppen zu
unterteilen. Wir versuchen ein bisschen Sonderunterricht für die
Schwächeren zu geben,“ erzählt sie: „Ansonsten versuchen wir
Abwechslung in den Schulalltag zu bringen: basteln, singen, tanzen
oder mal Theater spielen. Die Kinder sind da voll scharf drauf und
die sind schon für kleine Dinge voll dankbar. Neulich haben wir aus
Papier Tigermasken gebastelt und die sind dann den ganzen Tag damit
rumgetollt.“ Ansonsten versucht sie Allgemeinwissen zu vermitteln,
wie zum Beispiel wissen über andere Länder oder sie zeigt ihnen mal
die Weltkarte. „Die sollen ja auch wissen, dass es nicht nur braune
sondern auch weiße Menschen gibt und dass Japan geografisch nicht
neben Deutschland liegt,“ sagt sie: „Wissenshungrig sind die
schon!“
Ob das ganze überhaupt etwas bringt,
wenn jedes Jahr ein anderer Freiwilliger kommt und sein eigenes
Programm aufzieht? „Langristig gesehen weiß ich nicht. Das Leben
von denen ändern tut es kaum. Aber all die Kinder haben ein hartes
Los gezogen. Diesen Kindern punktuell mal eine Freude zu machen, wo
sie sonst nicht viel zu lachen haben, ist es schon wert. Oder einfach
auch den schlechteren, die sonst nie gelobt werden, mal ein positives
Feedback geben,“ meint Daniela. Es sind aber auch Folgen der
Freiwilligenarbeit in Danielas Schule zu sehen: Die Schüler der
vierten Klasse, die durchgehend Freiwillige hatten, können von der
ganzen Schule am besten Englisch sprechen, sogar besser als die
Siebtklässler,“ erzählt Daniela: „Dabei kommt es natürlich
auch immer auf das Engagement der Freiwilligen an, wie sehr die sich
einbringen. Unterrichten in Großgruppen wie 30 bis 40 Leute bringt
meiner Meinung nach gar nichts.“
Viele Unterschiede, kaum
Gemeinsamkeiten. „Ich hätte nie gedacht, dass eine Schule so
laufen kann“, sagt Daniela: „Aber nichtsdestotrotz sind manche
Schüler richtig gut. Die Guten kriegen das alleine hin, die
fleißigen. Aber sonst, die anderen, die Rabauken, um die sich nicht
gekümmert wird bleiben hängen und werden mitgeschleift. Die stehen
am Ende mit einem Grundschulabschluss da, ohne teilweise richtig
rechnen oder schreiben zu können.“ Das ist ein Resultat aus einem
Bildungssystem, das in Privatschulen und staatliche Schulen
unterteilt ist: Wer das Geld hat, kann sich den Zugang zu Bildung und
somit Chancen auf einen guten zukünftigen Job erkaufen. Der Rest ist
in einem Teufelskreis aus Armut und Unwissenheit gefangen, aus dem es
hart ist zu entkommen. Man muss dabei natürlich bedenken, dass der
ganze Unterrichtsstil in Indien ein anderer ist, als in Deutschland
und dass es auch bei uns bei uns einmal so harten Frontalunterricht
gegeben hat. „Natürlich kann ich nur von meinen Erfahrungen in
meiner Schule sprechen und von dem, was ich von anderen
Freiwilligenlehrern gehört habe,“ gibt Daniela zu: „Aber warum
sollte es im Rest von Indien anders sein?“
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