In Indien spielt die Religion eine viel größere Rolle als in Deutschland. Spiritualität und Alltag sind eng ineinander verwoben.
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Ein Ganesha-Gott-aufkleber auf der Frontscheibe fährt immer mit. |
Sein Gott ist immer bei ihm. In einer Halskette trägt er ihn mit sich herum und jeden Morgen und Abend holt er ihn raus und betet ihn an. Was für manche an Aladin und die Wunderlampe erinnern mag, ist normal in Indien und gehört zum täglichen Leben und all seiner Spiritualität dazu.
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Im Inneren eines Tempels |
Nach Indien zu gehen und zu sagen man sei Atheist, ist keine gute Idee. Der Glaube ist hier viel wichtiger als in Europa und viele Menschen verstehen daher nicht, dass man an keinen Gott glauben könne. Von den ca. 1,2 Milliarden Indern sind ungefähr 80,5% Hindus. 13,4% sind Muslime und 2,3% sind Christen. Neben den großen Weltregionen gibt es kleine Bevölkerungsteile an Jainisten, Sikhs, Buddhisten und Zoroastristen. Während Angela Merkel „Multikulti“ in Deutschland als gescheitert erklärt hat, ist man in Indien stolz auf das nebeneinander der verschiedenen Religionen. Zwar gab es in Indiens jüngster Vergangenheit auch einige blutige Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Muslimen oder Sikhs und Hindus. Im allgemeinen ist man allerdings auf das friedliche miteinander stolz. Das zeigen sowohl Gespräche mit Menschen vor Ort, als auch viele Schulaufführungen von Schülern zu speziellen Feiertagen.
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Portugisische Kirche in Mangalore. |
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Hinduistischer Tempel in Kollur |
In Kundapur an der südlichen Westküste Indiens leben überdurchschnittlich viele Christen. Das liegt zum einen daran, dass der Apostel Thomas im ersten Jahrhundert entlang Karnatakas und Keralas Küsten gereist ist und christliche Gemeinden gegründet hat. Und zum anderen liegt es an den portugiesischen Kolonialherren. Sie bekehrten die indische Bevölkerung im 16. Jahrhundert gewaltsam und zerstörten hinduistische Tempel.
Ich lebe in einer Hindu-Familie. Im Hinduismus gibt es viele Götter, die jedoch alle aus dem einen ewigem Weltgeist Brahman entstanden sind. Man kann es sich auch so vorstellen, dass ein Gott in verschiedenen Erscheinungsformen auftritt. Ein Bilderverbot wie im Christentum besteht nicht. In den Tempeln finden sich deshalb Götternachbildungen und überall kann man Bilder von Göttern kaufen. Diese kann man dann in seinen Gebetsraum hängen, falls man einen solchen hat. In meiner Familie gibt es einen und es wird zwei Mal pro Tag gebetet. Zuerst wird alles gesäubert und von Staub befreit, dann wird der Gebetsraum mit frischen Blumen dekoriert. Es werden Mantras gesprochen, das sind bestimmte Worte oder Sätze, die zu Ehren des Gottes wiederholt werden. Danach werden Ölkerzen angezündet und Räucherstäbchen angemacht und geschwenkt. Dabei wird eine Glocke geläutet. Zum Schluss bläst man in eine Muschel - ein hornähnlicher Ton erklingt. An speziellen Tagen werden auch Süßigkeiten dem Gott dargeboten und dem Gottesbild ein roter Kumkumpunkt auf die Stirn gemacht. Vor unserem Haus steht wie vor jedem Hindu-Haus ist ein Sockel mit der Tulsi-Pflanze. Diese gilt als besonders heilig und wird in manche Gebetsprozeduren miteinbezogen. Vor vielen christlich bewohnten Häusern steht alternativ ein Kreuz auf einem Sockel.
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Gebetsraum in meiner Gastfamilie |
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Auch vor Narvins Haus steht ein Kreuz. |
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Christlich "geprägte" Eingangstür |
Die meisten Leute beten nur bestimmte Hauptgötter an und nicht alle. In meiner Familie werden hauptsächlich Ganesha, Lakshmi, Sarasvathi und Sathianryana angebetet. Ganesha kann man für viele Dinge anbeten, besonders bei der Überwindung von Hindernissen. Lakshmi ist die Göttin des Wohlstands und des Reichtums. Sarasvathi ist die Göttin für Erziehung und Bildung und Sathianryana steht für eine gute Stimmung und für Frieden.
In unserem Fitnessstudio hängt ein Bild von Hanuman, dem Gott der Stärke. Alle Hindus grüßen ihn bevor sie mit dem Training beginnen. Berühren sie eine Hantel aus Versehen mit dem Fuß, entschuldigen sie sich sogleich in Richtung Hanuman-Bild. Füße gelten wegen ihrer Nähe zum Boden und Kontakt mit Schmutz als unheilig. Einmal ist ein Mann im Bus ausversehen auf meine Rucksackschnalle getreten. Er hat sich unverzüglich mit einer Geste bei meinem Rucksack entschuldigt.
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Böse Fratze - die das Haus beschützen soll |
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Computer, der zum Dussera Festival gesegnet und markiert wurde |
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Vor dem Tempel die Schuhe ausziehen |
Neben den verschiedenen Göttern gibt es im Hinduismus das Kastensystem und den Glauben an die Wiedergeburt. Es gibt die vier Hauptkasten: Die Brahmanen (Priester), die Kshatryas (Krieger und Herrscher), die Vaishyas (Kaufleute und Landwirte), die Shudras (Diener) und die Kastenlosen. In den einzelnen Hauptkasten kann man noch sehr viel weiter unterscheiden. Insgesamt gibt es über 3000 verschiedene Kasten. Für jede Kasten gibt es besondere Pflichten und Aufgaben. Will man dem ewigen Kreislauf des Wiedergeborenwerdens entkommen, muss man sich seinen Pflichten in Handeln und Denken entsprechend verhalten. Diesem Kreislauf zu entkommen und in den Weltgeist Brahman einzutauchen, gilt als höchstes Ziel. Offiziell werden die Kasten in Gesetzgebung nicht berücksichtigt. Sie existieren aber trotzdem in vielen Köpfen der Menschen. So putzt die Büroputzfrau zum Beispiel nicht das Klo, weil das eine Aufgabe für die niederen Kasten ist und der Angestellte eines Freundes von mir darf beim Mittagessen nicht mit in der Runde sitzen. Arrangierte Hochzeiten werden in der Regel auch nur innerhalb der jeweiligen Kaste geschlossen.
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Räucherstäbchen und Gottesabbild im Minibus |
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Musumbi mit Pepperonis, die über dem Eingang eines Restaurants hängen |
Die meisten Gegenden in Indien sind sehr traditionell geprägt und die Religion nimmt einen entsprechend großen Raum im Leben der Menschen ein. Die meisten beten täglich und halten viele religiöse und traditionelle Bräuche ein. So ehren viele Menschen ihre Rikschas, Autos, Geschäftsräume oder Häuser zu bestimmten Anlässen. Die Rikscha hilft dem Rikschafahrer Geld einzunehmen, also behängt er sie zum Dank mit Blumenketten und lässt sie von einem Brahmanen segnen. Oft sieht man in Restaurants oder an Autos eine Musumbi (indische Orange) mit mehreren Peperonis hängen. Das wird auch zu Ehren des Autos oder des Restaurants aufgehängt, weil es dem Besitzer hilft Geld zu verdienen oder ihn sicher durch den Verkehr zu bringen. Ebenso hängt in jedem Bus ein hinduistisches Gottesbild oder ein Jesusbild, umhangen von Blumenketten.
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Stadtbus aus Mysore, geschmückt |
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Mein Lieblingsfoto: Straßenziege frisst Rikschaschmuck |
In einem Tempel in Pattadatkal trafen wir einen Priester. Er hat uns von seinem Glauben erzählt. Sein Vater war schon Priester in jenem Tempel und nun seien er und sein Bruder in seine Fußstapfen getreten. Seine Kaste erkennt man an einer Kette, die er um den Hals trägt. In ihr befindet sich eine kleine Shiva-Statue, die er immer mit sich herumträgt, jeden Morgen und Abend säubert und anbetet.
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Der Priester, der eine kleine Shivastatue in seiner Kette mit sich herumträgt. |
Wie sehr der Glaube in den Menschen verankert ist, sieht man auch an den Christen. Es gilt zwar das Bilderverbot, dass man sich kein Bild von Gott machen darf. Stattdessen sieht man in christlichen Haushalten Bilder von Jesus, Bibelsprüche oder Bilder berühmter Prediger. Egal ob Christ, Hindu oder Moslem die Menschen holen sich einen Teil ihres Glaubens zu sich ins Haus. Wie viel davon Glauben und wie viel Tradition ist kann ich nicht sagen. Meine Gastmutter malt ihrer zweijährigen Tochter manchmal einen Punkt auf die Stirn und einen auf jede Wange. Das soll gut für das Kind sein. Warum man das genau macht, weiß sie selbst nicht. Sie glaubt aber dran.
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Mit Religion lässt sich hier auch gut Werbung machen! |
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