Mittwoch, 11. April 2012

Weltwärts – Ein entwicklungspolitischer Freiwilligendienst?

Wem und was ein sozialer Dienst im Ausland etwas bringt

In ein armes Land fahren, ein Jahr kulturellen Austausch haben und dabei noch die Verhältnisse für die Menschen dort verbessern. Mein Indien-Aufenthalt wird im Rahmen des weltwärts-Programmes des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert und als entwicklungspolitischer Freiwilligendienst angepriesen. Klingt doch super – die Welt verbessern und selbst Erfahrungen sammeln – eine klassische Win-Win-Situation, könnte man meinen.

Auch ich kam hochmotiviert und mit vielen Plänen nach Indien. Klar, dachte ich, bringt das ganze für mich natürlich auch einiges an Erfahrung. Auf unseren Vorbereitungsseminaren wurden wir zwar schon aufgeklärt, dass unsere Arbeit im Gastland auf keinen Fall mit Entwicklungshilfe gleichzusetzen ist. Doch die Hoffnung, dass man irgendwie helfen könnte blieb trotzdem.


Interkultureller Austausch beim Essen.
Entwicklungshilfe, was ist das überhaupt? Ich versuch es mal ganz anschaulich an einem fiktiven Beispiel zu erläutern. Angenommen es gibt Land A und Land B. Land A ist schon seit Generationen wohlhabend. Es hat eine solide Wirtschaft, ein gutes Bildungs- und Gesundheitssystem. Den Menschen im Land geht es gut, weil sie Arbeit haben und alle ihre Grundbedürfnisse befriedigen können. Dazu gehören essen, wohnen, gesund bleiben, usw. Im Land B sieht es ganz anders aus: Die Leute sind arm und haben nicht alle genug zu essen. Die Krankenhäuser im Land kosten viel Geld und sind nicht für jeden verfügbar. Schulbildung ist nicht für alle gegeben, deshalb sind große Teile der Bevölkerung ungebildet.
Entwicklungshilfe versucht diese Unterschiede nachhaltig auszugleichen. Sie wird von verschiedenen Personengruppen betrieben wie zum Beispiel Nichtregierungsorganisationen (NROs). Eine NRO ist auch FSL India (Field Services and Intercultural Learning) bei der ich hier in Indien arbeite. Allerdings kann man schon im Namen ablesen, dass es der Organisation mehr um den interkulturellen Austausch, sprich der Beschäftigung von internationalen Freiwilligendienstlern geht. Eine reine soziale Hilfsorganisation arbeitet effektiver.
Arbeiten im Small Office

Mein erstes Projekt  ist ein gutes Beispiel dafür. Eco Tourism Kundapur soll theoretisch einen alternativen Tourismus in Kundapur aufbauen. Die einfachen Menschen aus Kundapur sollen miteinbezogen werden und ein sehr verantwortungsbewusster kultureller Austausch fände statt. In der Praxis sieht es aber anders aus. Das Projekt besteht seit sieben Jahren, seitdem hat sich nicht viel getan. Freiwillige kamen und gingen, haben es aber nicht geschafft wichtige Veränderungen einzuleiten. Das Projekt weder in Reiseführern und in speziellen Netzwerken zu finden, noch wird es auf irgendeine andere Art beworben. Das Resultat ist, dass nach sieben Jahren immer noch keine Touristen kommen.
Klar, Tourismusentwicklungen brauchen länger als ein Jahr und ich würde in meinen elf Monaten wohl kaum riesige Veränderungen sehen. Doch aus den Schlussberichten der vorherigen Freiwilligen lässt sich entnehmen, dass jede_r mit mehr oder weniger den selben Ideen ankam, auf die selben Probleme stieß und auch mit denselben Lösungsvorschlägen wieder gegangen ist. Manche blieben für elf Monate, manche für sechs andere nur für ein oder zwei. Ich hab allein fünf Monate dafür gebraucht, die komplette Reichweite des Projektes zu begreifen. So ein langfristiges Projekt kann nicht allein von ständig wechselnden Personen betrieben werden – noch dazu, wenn die in einer komplett fremden Umgebung arbeiten. Und leider ist es so, dass FSL India das Projekt zwar mit theoretischen Dreijahresplänen begleitet, die Projektbetreuung durch Inder_innen aber alle paar Monate wechselt. Das heißt, ständig versuchen sich neue Leute ins Projekt einzuarbeiten. Die gehen aber auch schnell wieder und können sich nicht langfristig und effektiv um das Projekt bemühen. Diese Anstrengungen werden aber dringend benötigt, um einen alternativen Tourismus aufzubauen. Die Manager von FSL India wissen das natürlich auch, aber ihnen geht es in erster Linie darum, dass sie Arbeitsplätze bereitstellen können, in denen Freiwilligendienstler interkulturelle Erfahrungen sammeln können. Interkulturellen Austausch erleben – das ist das Ziel des weltwärts-Programmes und ähnlichen Freiwilligendiensten.

Eco Tourism Dorfrundgang

Es gibt allerdings verschiedene Projekte und die meisten haben neben dem kulturellen Austausch auch soziale Nebeneffekte: Englischsprachige Lehrerassistenten helfen Schülern, deren Englischlehrer nicht mal richtig Englisch sprechen können. Eine Betreuungsperson im Waisenheim bereichert das Leben und Denken der elternlosen Kinder. Eine Hilfskraft in der Behinderteneinrichtung erleichtert den Arbeitsalltag dort und kümmert sich um Bedürftige. Das sind soziale Dienstleistungen, die der Bevölkerung im Gastland zu Gute kommen. Man sollte sie nicht zu hoch einschätzen, aber auch nicht leugnen.

Eco Tourism: Auf dem Weg zu einer Gastfamilie


Es gibt neben FSL India aber noch viele andere NROs in Indien, denen es mehr daran liegt, die Lebensumstände der Menschen zu ändern. Gram Vikas oder Pratham sind gute Beispiele dafür. Die NRO Gram Vikas installiert Wasserversorgungssysteme für gesamte Dörfer, die die Trinkwasser- und Hygienesituation verbessern. Pratham ist eine NRO, die damit angefangen hat das tatsächliche Wissen von Schülern auf staatlichen Schulen zu prüfen, immense Defizite festgestellt hat und diese seitdem verbessert. Ein Buch, das interessante Einblicke gibt ist Poor Economics von Abhijit Banerjee und Esther Duflo. Die beiden Volkswirte werten konkrete Beispiele von Entwicklungsarbeit aus, ohne voreingenommen für oder gegen Entwicklungshilfe zu sprechen. Wer sich interessiert sollte sich das Buch, welches wissenschaftlich große Anerkennung gefunden hat, unbedingt durchlesen. Es ist allerdings auf Englisch geschrieben und das ein oder andere Wort muss man nachschlagen.
Weltwärts ist ein entwicklungspolitischer Freiwilligendienst, obwohl es keine Entwicklungshilfe ist? Ja. Denn ich behaupte mal jeder, der für einige Monate einen sozialen Dienst in einem Entwicklungsland absolviert, macht sich über Entwicklungsarbeit Gedanken. Darüber was man machen kann, um etwas zu verändern und darüber, ob das ganze auch noch etwas bringt, wenn man wieder weg ist. Dazu sieht man natürlich die Unterschiede zwischen einem entwickeltem und einem weniger entwickeltem Land.
Ich würde das weltwärts-Programm als Win-Win-Situation bezeichnen. Dabei gewinnt der Freiwillige allerdings am meisten: Lebenserfahrung, Menschenkenntnisse, Verbesserung der Sprachkenntnisse, Arbeitserfahrung in einem fremden Land, etc. Das Gastland gewinnt eine Arbeitskraft, die zwar ungelernt ist, aber einen sozialen Dienst für die Bevölkerung leistet. In jedem Fall kommt es zum Kulturaustausch und meistens zu einer größeren Toleranz für den oder das Andere.
Man baut zwar keine neuen Brunnen oder stellt das Bildungssystem um, aber das Interesse für die Ungleichheiten auf dieser Erde wird geweckt, weil man mit ihnen konfrontiert wird. Mit einem Freiwilligendienst verändert man zwar nicht die Welt, aber die Leute, die daran teilhaben.


Empfehlenswertes Buch!

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